Sehen wir in Ägypten die Zukunft der Medien?

Der Blogger und Journalist Richard Gutjahr ist vorgestern spontan nach Ägypten gereist, um aus erster Hand über die Proteste der Bevölkerung gegen die Regierung von Präsident Mubarak zu berichten. Seit Montagmorgen informiert er in seinem Blog und über seinen Twitter-Account – der alleine seit gestern um 1.000 neue Follower gewachsen ist – über die Ereignisse vor Ort. Während die ägyptischen Machthaber weiterhin versuchen, die veröffentlichte Meinung zu kontrollieren, zählt der hauptberuflich professionelle Journalist Gutjahr damit zum immer größer werden Heer der „Bürgerjournalisten“, die die staatliche Zensur umgehen.

Einmal mehr wird „das Internet“ zu einer der wichtigsten Informationsquelle aus einem Krisengebiet – und war offenbar auch als Kommunikationsplattform der demonstrierenden Bevölkerung so effektiv, dass sich die Regierung gezwungen sah, den Netzzugang im Land weitgehend einzuschränken – glücklicherweise mit mehr als mäßigem Erfolg. Die Menschen in Ägypten finden weiter Wege, ihre Botschaften zu verbreiten, und auch der arabische Fernsehsender Al Jazeera nutztdie Macht der Massen und hat Blogger aufgerufen, Bilder, Videos und auch Texte direkt an den Sender zuübermitteln. Google hat mit „Speak 2 Tweet“ einen Weg geschaffen, auch ohne funktionierendes Internet weiter Twitter-Nachrichten zu verbreiten – in dem diese einfach per Telefon aufgezeichnet und anschließend über einen eigens eingerichteten Twitter-Account veröffentlicht werden.

Richard Gutjahrs Reise nach Ägypten hat im Netz zu gemischten Reaktionen geführt – auch ich habe mich anfangs gefragt, was ich von der Ankündigung am Sonntag halten soll. Während Thomas Knüwer in seinem Blog gefordert hat, „Unterstützt die Gutjahrs„, hat sich etwa Nico Lumma sehr kritisch geäußert und die Frage „Selbstdarstellung oder Reportage“ gestellt – ein Vorwurf, den auch andere Blogger erhoben haben, vor allem mit Verweis auf Gutjahrs Publicity-Stunt bei der Einführung des iPad.

Nach einigem Nachdenken bin ich für mich zu dem Schluss gekommen, dass ich Richard Gutjahrs Reise und seine Echtzeit-Berichterstattung gut finde. Zumindest in den ersten Tagen der beginnenden Unruhen in Ägypten habe ich mich von den klassischen Medien in Deutschland nicht aureichend informiert gefühlt und bin – tatsächlich – auf CNN ausgewichen. Das lag sicher zum Teil an den Rahmenbedingungen, die das ägyptische Regime für Berichterstatter geschaffen hat, aber sicherlich auch an den Redaktionen in Deutschland, die ansonsten gerne mal einen Brennpunkt „Deutschland im Schnee“ (wieso steht der eigentlich nach über sieben Tagen noch im Netz?) für wichtig genug erachten, um das Programmschema zu unterbrechen. Die Liveberichterstatung im Blog und via Twitter ist für mich definitiv eine Bereicherung – was aber auch daran liegen dürfte, das Richard Gutjahr eben nicht „nur“ ein Blogger sondern ausgebildeter Journalist ist. So hat heute auch die Tagesschau schon auf ihn als Augenzeugen der Ereignisse zurückgegriffen – allerdings nicht als Blogger sondern als „Kollegen“.

Im Interview mit dem Branchendienst meedia weist er ausdrücklich auf seine berufliche Erfahrungen hin – so dürfte es in der Blogosphäre wenig verbreitet gewesen sein, dass er bereits in den 90-er Jahren aus Kroatien und vor zwei Jahren aus dem Gaza-Streifen für die ARD berichtet hat. Das außergewöhnliche an seiner aktuellen Reportage-Reise ist daher am ehesten, dass er als freier Journalist ohne konkreten Auftrag nach Ägypten geflogen ist – als Journalist, der sich intelligent und mit einigem Erfolg der „neuen Medien“ bedient.

Für mich sind das die zwei spannenden Aspekte dieser Wochen, auch der Ereignisse in Tunesien: Das Netz bietet großen Bewegungen plötzlich sowohl eine neue Plattform für die Kommunikation untereinander als auch die Möglichkeit, selbst eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen, und die Schwelle für professionelle Berichterstatter sinkt gegen null – ein Handy mit Internetzugang und vielleicht noch ein Laptop ersetzen Schreibmaschine, Reportagemikrofon und Fernsehkamera. Das ist aus meiner Sicht die Zukunft der Medien.

Heute Mittag hat Richard Gutjahr eine sehenswerte Galerie zum „Marsch der Millionen“auf flickr hochgeladen.